PM: Privatsphäre Adé – Vom Albtraum, im Lager zu leben

Gemeinsame Pressemitteilung des Initiativkreis: Menschen.Würdig. und des Sächsischen Flüchtlingsrats e.V.

03.05.2019

Weite Zugriffsrechte von Beschäftigen, Securities und Polizei in Aufnahmeeinrichtungen

Privatsphäre Adé – Vom Albtraum, im Lager zu leben

Das Staatsministerium des Inneren offenbart, wie die Hausordnung für Erstaufnahmeeinrichtungen in einigen Lagern umgesetzt wird: willkürlich und ohne Respekt für die Privatsphäre. Dass Wohnungen und Zimmer wie Sanitäranlagen in einigen Objekten nicht abschließbar sind, ist ein Skandal. Hinzu kommt die immerwährende Wahrscheinlichkeit, dass die Polizei in der Wohnung steht. Ohne richterlichen Beschluss.

Ende März erst hatte sich der Leipziger Initiativkreis: Menschen.Würdig. (IKMW) an den Sächsischen Ausländerbeauftragten gewandt und ihm seine Analyse der Hausordnung für sächsische Erstaufnahmeeinrichtungen in einem Offenen Brief dargelegt. Die Quintessenz: die Regelungen sind schlicht rechtswidrig, an verfassungsrechtlichen Verweisen mangelt es im Brief keinesfalls. Ein Gespräch dazu zwischen dem Sächsischen Ausländerbeauftragten und dem IKMW steht aus. Doch schon jetzt offenbart sich die Dringlichkeit nach Reformen. Denn der laxe Umgang mit Artikel 13 Grundgesetz, dem Schutz der Wohnung, spiegelt sich ganz konkret im Lageralltag. Wie eine Kleine Anfrage von Juliane Nagel, MdL, DIE LINKE, nun zeigt (Drs. 6/17162) ist die Privatsphäre der Bewohner*innen in höchstem Maße eingeschränkt. Dass Mitarbeiter*innen der Betreiber die Wohnungen und Zimmer betreten, ist offenbar komplett deren Willkür überlassen. Alle Mitarbeiter*innen besitzen Ersatzschlüssel. Die unnötig sind, wenn Wohnungen und Zimmer stets offen stehen. So der Fall in Dresden auf der Hamburger Straße und in Grillenburg in der Sächsischen Schweiz/ Osterzgebirge. „Das ist ein wahnsinnig hohes Maß an Schutzlosigkeit, dem gerade Schutzsuchende ausgeliefert sind.“ kommentiert Kim Schönberg vom IKMW. Das Maß an Schutzlosigkeit ist für nackte Personen ins Unermessliche gesteigert, die sich in Sanitärbereichen aufhalten. Auch das, Gang und Gäbe, wieder auf der Hamburger Straße, auf der benachbarten Bremer Straße sowie der Max-Liebermann-Straße in Leipzig. Die Sanitäranlagen sind laut Angaben des Innenministeriums nicht verschließbar. Welche Lösung im Sinne der Privatsphäre auf der Hamburger Straße geschaffen werden soll, wenn Frauen auf dem Weg zur Dusche an zwei Securities vorbeilaufen müssen, mag nicht erklärbar sein. Kim Schönberg: „Diese Zustände sind nicht etwa ein Skandal, der durch eine verbesserte Hausordnung beseitigt werden kann. Solche Zustände wohnen dem System Lager inne, ohne sie könnte so etwas nicht funktionieren. Deswegen unterstreichen wir unsere Forderung, wegen der wir uns überhaupt gegründet haben: Dezentralisierung JETZT! Geflüchtete müssen so schnell wie möglich in eigenen Wohnraum ziehen können. Nicht zuletzt werden wir diese Punkte auch gegenüber dem Sächsischen Ausländerbeauftragten vorbringen, der uns auf unseren offenen Brief hin zu einem Gespräch eingeladen hat.“

Alltag mit Uniformierten
Weiter geht es mit Durchsuchungen der Wohnungen und Zimmer durch Strafverfolgungs- und Vollstreckungsbehörden. Dass dies geschieht, will das Staatsministerium des Inneren nicht ausschließen. Quantifizieren mag es die Anzahl nicht, denn Recherche gefährdet die Arbeits- und Funktionsfähigkeit der Staatsregierung. Dass solche Durchsuchungen ab und an auch mal ohne richterlichen Beschluss oder Einladung der Bewohner*innen stattfinden – auch hier kann nichts ausgeschlossen werden. Die Securities kontrollieren dabei gemeinsam mit den Mitarbeiter*innen der Betreiber in aller Regelmäßigkeit die Wohnungen und Zimmer. Der Grund: die pauschale Unterstellung, Geflüchtete seien nicht mündig, deswegen muss auf Hygiene und Brandschutz kontrolliert werden. „Was in sächsischen Erstaufnahmeeinrichtungen geschieht, ist das Ausliefern von Menschen gegenüber Securities und Polizei. Von Privatsphäre kann nicht gesprochen werden, wenn Uniformierte ständiger Teil des Lebens sind. Das ist eine ganz simple Feststellung.“ meint Mark Gärtner vom SFR. Eine weitere Anfrage wird zeigen, welche Rolle Polizei bei Abschiebungen spielt, sofern sie aus Erstaufnahmeeinrichtungen heraus geschehen sollen (Drs. 6/17490). Auch hier sind Fälle bekannt, bei denen Polizei die Lager betrat. Weitere Einschränkungen erfahren Geflüchtete seit dem Mai/Juni des vergangenen Jahres. Die durch das System Lager induzierten Gewaltvorfälle in Dresden veranlasste die Landesdirektion die Gemeinschaftsräumen der Erstaufnahmeeinrichtunge per Video zu überwachen. Auch dies eine Maßnahme, die die Repression vor die Gewaltprävention, die dezentrale Unterbringung stellte (Kritik des SFR eV in PM vom 06. Juni 2018).

PM: Nach Ellwangen und Hamburg: Auch in Asylunterkünften gilt das Grundgesetz – Hausordnung in Aufnahmeeinrichtungen in Sachsen sind rechtswidrig

Der Initiativkreis: Menschen.Würdig. wendet sich mit einem Offenen Brief an Sachsens Ausländerbeauftragten Geert Mackenroth und fordert diesen auf im Sinne der Grundrechte von Geflüchteten aktiv zu werden.

Anlass der Forderung ist die nunmehr auch von Gerichten bestätigte Auffassung, dass Wohnbereiche in Asylunterkünften Wohnungen sind und nicht durch willkürliche Behördenpraxen angetastet werden dürfen. 

Im Februar 2019 hatte des Verwaltungsgericht Hamburg entschieden, dass das Eindringen in den persönlichen Wohnraum zum Zwecke des Aufgreifens vollziehbar Ausreisepflichtiger rechtswidrig ist, sofern dafür kein richterlicher Beschluss vorliegt. Denn: auch Wohnbereiche in Asylunterkünften unterlägen Artikel 13 (Unverletzlichkeit der Wohnung). Das Amtsgericht Ellwangen hat ebenso öffentlich Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Polizeieinsatzes zum Ausdruck gebracht, bei dem im Mai 2018 die Polizei in der dortigen Erstaufnahmeeinrichtung Türen aufgebrochen und Zimmer durchsucht hatten, ohne einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss zu besitzen.

In Sachsen wird Asylunterkünften der Wohnungscharakter abgesprochen. So heisst es in der Antwort des Sächsischen Innenminister auf eine Kleine Anfrage (Drs. 6/16060), dass es sich „bei den Räumen in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften […] grundsätzlich nicht um Wohnungen im Sinne des Artikels 13 Absatz 1 GG“ handelt.

Die in der Hausordnung in den Erstaufnahmeeinrichtungen ausgeführten Regelungen stehen ganz im Sinne dieser Auffassung. Willkürliche Zimmerkontrollen sind darin ebenso vorgesehen wie das Verbot von Besuchen und von Waffen und Alkohol sowie Einlasskontrollen.

Dazu Kim Schönberg vom IKMW: „Die Hausordnung der Erstaufnahmeeinrichtungen verstösst gegen Menschenrechte und die verbrieften Grundrechte. Der Freistaat Sachsen muss sich langsam daran gewöhnen, dass Geflüchtete auch Grundrechtsträger*innen sind und dies auch in ihren sächsischen Gesetzen und Verordnungen zum Ausdruck bringen. Das Innenministerium muss sich schleunigst darum bemühen die Hausordnung der Aufnahmeeinrichtungen menschen- und grundrechtskonform auszugestalten.“

Der IKMW wendet sich darum mit einem Offenen Brief an den Sächsischen Ausländerbeauftragten und appelliert an ihn, sich gegenüber dem Sächsischen Innenminister für die Wahrung der Rechte von Schutzsuchenden einzusetzen. 
Kim Schönberg erläutert: „Anstatt ein Gericht zu bemühen, wählen wir den zunächst nahe liegenderen Weg. Mit unserem Schreiben an Geert Mackenroth fordern wir, dass der Interessenvertreter auch für Menschen ohne sicheren Aufenthaltsstatis aktiv wird. Nicht zuletzt hat er uns mit seinem Newsletter auf die rechtswidrige Situation hingewiesen und diese Frage auch in Sachsen zum Thema gemacht.“

Den Offenen Brief finden Sie hier.

Initiativkreis: Menschen.Würdig unterzeichnet Offenen Brief zur Verbesserung des Gewaltschutzes in Sammelunterkünften und fordert: Gewaltschutz ist gut – auch für Leipziger Unterkünfte – Abschaffen von Massenunterkünften ist besser!

Pressemitteilung
19.11.2018

Am 19.11.2018 veröffentlichte der Sächsische Flüchtlingsrat e.V. einen
Offenen Brief an die Sächsische Landesdirektion, das Staatsministerium des
Inneren und die Staatsministerin für Gleichstellung und Integration zum
Gewaltschutz in sächsischen Asylunterkünften. Im Offenen Brief wird „echter
Gewaltschutz“ durch gründliche Überarbeitung des aktuellen
Gewaltschutzkonzeptes gefordert. Der Initiativkreis: Menschen.Würdig.
gehört zu den Erstunterzeichner*innen. (zum Brief:
https://www.saechsischer-fluechtlingsrat.de/de/2018/11/19/pm-organisationen-fordern-maximaler-gewaltschutz-minimale-aufenthaltsdauer-in-sammelunterkuenften-jetzt/ )
Zu den Gründen, den offenen Brief mitzuzeichnen führt Kim Schönberg vom
IKMW aus: „Wir begrüßen die Initiative zur Verbesserung des Gewaltschutzes
in Sammelunterkünften. Ein vernünftiges Gewaltschutzkonzept ist schon
alleine wegen der Gefahr von rechten An- und Übergriffen, denen Personen,
die in Sammelunterkünften untergebracht sind, höchst angebracht.
Ebenso sind Fälle von unter anderem sexualisierter Gewalt vom
Sicherheitspersonal bekannt geworden.Viele Vorfälle werden jedoch – in
Ermangelung eines ordentlichen, externen Beschwerdemanagements, zumeist unter den Tisch gekehrt. Die Bewohner*innen von Massenunterkünften, die per Gesetz in zahlreichen Rechten – z.B. denen auf ein menschenwürdigen Existenzminimums,  Bewegungsfreiheit oder selbstbestimmten Wohnens -beschnitten sind,  befinden sich in starker Abhängigkeit vom Wohlwollen der Betreiber, Sozialbetreuer*innen und Sicherheitsperson in den Unterkünften. Um den Betroffenen eine Stimme zu geben und Misständen ernsthaft auf den Grund zu gehen, muss eine externe Beschwerdestelle her!“

Auch in Leipzig gibt es keine Gewaltschutzkonzepte für die kommunalen
Unterkünfte. Der Beschluss zur Einführung eines Beschwerdemanagements für die Bewohner*innen von Asylunterkünften, eine Initiative des
Migrantenbeirats der Stadt, harrt immer noch der Umsetzung.

Doch der Initiativkreis Menschen.Würdig geht in seiner Forderung
grundsätzlich weiter: „Bei einem überarbeiteten Gewaltschutzkonzept kann es nicht bleiben! So gut tein neues Konzept auch sein wird, damit Menschen in Massenunterkünften endlich einen wirksamen Schutz bekommen: Massenunterkunft bleibt unwürdig, egal, wie gut das Gewaltschutzkonzept sein mag!
Kein noch so gutes Gewaltschutzkonzept kann die strukturellen Probleme von
Erstaufnahmeeinrichtungen und kommunalen Sammelunterkünften beheben. Denn diese bedeuten immer Mangel an Privatsphäre, Isolation, Einschränkung der Selbstbestimmung und potentiell Gewalt. Insbesondere Kinder und Jugendliche sind durch multiple Deprivation gefährdet. Das bedeutet, dass ihre Lebenslagen derart benachteiligend sind, dass Entwicklungschancen massiv eingeschränkt werden.“

Durch die allgemeinen Verschärfungen der Asylgesetzgebung kann zudem nicht mehr die Rede von ERSTaufnahmeeinrichtungen sein. Auch in Sachsen ist geplant, dass Personen aus sogenannten sicheren Herkunftsländern und mit sogenannter schlechter Bleibeperspektive bis zu 24 Monaten in
Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben sollen und damit von jeder Form von
gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen werden.

Auch in den kommunalen Unterkünften in Leipzig steigen die Verweildauern
von Menschen, die bereits eine positive Entscheidung ihres Asylantrags
bekommen haben. Die angespannte Lage des Wohnungsmarkts sowie rassistische Diskriminierung gegenüber migrantisierten Wohnungsinteressent*innen tragen dazu bei, dass Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften bleiben und damit nicht selbstbestimmt wohnen und leben können.

Kim Schönberg ergänzt: „Das Recht auf Wohnen ist ein Soziales
Menschenrecht! Selbst, wenn die Mindeststandards in Massenunterkünften
umgesetzt werden, stellt eine „Unterbringung“ noch kein selbstbestimmtes
Wohnen dar. Wir sollten erst dann zufrieden sein, wenn Menschen in der Tat
selbstbestimmt Leben und damit auch Wohnen können!“