Sächsische Ausländerbehörden stellen sich über das Bundesverfassungsgericht

11.05.2017, Gemeinsame Pressemitteilung von
Initiativkreis:Menschen.Würdig.
Sächsischer Flüchtlingsrat e.V.
Bon Courage e.V.
Peperoncini Rechtshilfefond e.V.

 

In Sachsen wird der Rechtsanspruch auf Duldung erfunden
Sächsische Ausländerbehörden stellen sich über das Bundesverfassungsgericht

Geflüchtete traten in der Vergangenheit vermehrt an Beratungsinitiativen in verschiedenen Teilen Sachsens heran und hinterfragten die ihnen ausgehändigten „Grenzübertrittsbescheinigungen“. Die Mehrheit der sächsischen Ausländerbehörden stellt diese Dokumente zunehmend anstelle von Duldungen aus. Eine Anfrage bei der Landesregierung zeigt, dass diese Praxis weitläufig in Sachsen verbreitet ist. Was ein näherer Blick offenbart: Sie ist rechtswidrig und sollte, wenn es nach dem Bundesverfassungsgericht geht, bereits seit 2003 nicht mehr vollzogen werden.

In Sachsen scheinen wieder einmal andere Spielregeln zu gelten als im Rest der Republik. Anstatt dass abgelehnte Asylsuchende eine Duldung erhalten, werden zunehmend sogenannte Grenzübertrittsbescheinigungen ausgestellt und das immer dann, wenn vorgeblich kein Rechtsanspruch auf eine Duldung bestehe. Dies scheint gängiges Vorgehen im Freistaat zu sein, wie aus einer Kleinen Anfrage der Landtagsabgeordneten Juliane Nagel an die Landesregierung hervorgeht. In acht von 13 kreisfreien Städten beziehungsweise Landkreisen erhalten Schutzsuchende derweil „Identitätsbescheinigungen“, „Bescheinigungen über den Aufenthalt ohne Dokumente“ oder auch „Hinterlegungsbescheinigungen“. „Allenfalls vorübergehend“ geschehe das, so die Landesregierung. Schließlich müsse der Rechtsanspruch auch geprüft werden. Doch selbst hier sind Zweifel angebracht. Erfahrungen aus der Beratung zeigen, dass die Ausländerbehörden keine „Prüfung von Duldungsgründen“ vornehmen, sondern schlicht die Duldung verwehren. Diese Praxis hat schwerwiegende Folgen. Bereits mit einer Duldung gestaltet es sich als ausgesprochen schwierig, Arbeitgeber*innen zu überzeugen, einen Arbeits- oder Ausbildungsvertrag auszustellen. Mit den genannten Papierwischen im A4-Format ist das nahezu aussichtslos. Arbeiten, Mieten, ein Konto eröffnen – diese Selbstverständlichkeiten des Alltags bleiben den Betroffenen verwehrt. Sie gelten als nicht geduldet, gegebenenfalls können sie keinen Aufenthaltstitel auf Grund nachhaltiger Integration beantragen. Was das Bundesverfassungsgericht an so einer Praxis problematisch sieht: Die Betroffenen können ihre Identität nicht zweifelsfrei nachweisen.

Die Landesregierung versucht, systematischen Rechtsbruch zu kaschieren

Das Aufenthaltsgesetz ist im Fall der Duldung eindeutig: Sie ist auszustellen, wenn rechtliche oder tatsächliche Gründe der Abschiebung entgegenstehen. Ebenso unmissverständlich hat es das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2003 formuliert. Egal welch kreative Namen die Ausländerbehörden sich für ihre alternativen Dokumente einfallen lassen – aus Sicht des Initiativkreis: Menschen.Würdig, des Sächsischen Flüchtlingsrats, des Rechtshilfefonds Peperoncini und des Bon Courage e. V. sind sie das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt sind. Denn nirgendwo im Aufenthaltsrecht findet sich auch nur ansatzweise ein Hinweis, der die Auffassung von einem Rechtsanspruch untermauern würde. Eine Erklärung, warum Ausländerbehörden systematisch Recht brechen und die Landesregierung das Verhalten deckt: „Die Behörden scheinen die alternativen Dokumente gerade dann zu erteilen, wenn Geflüchtete nicht abgeschoben werden dürfen. Sie sollen offensichtlich zur ‚freiwilligen Ausreise‘ gedrängt werden. Den Beamt*innen dürfte klar sein, wie stark sie die Betroffenen psychisch belasten. Dieses Vorgehen ist reine Schikane“, so Kim Schönberg vom Initiativkreis: Menschen.Würdig. Die permanente Angst vor der Abschiebung sowie die weitgehende Entrechtung verhindere das wirkliche Ankommen in Deutschland, so die Initiative. Léonore Stangherlin vom Rechtshilfefonds Peperoncini ergänzt: „Grenzübertrittsbescheinigungen und andere alternative Dokumente sind ein Schritt zurück. Um der Lage von geflüchteten Menschen wirklich gerecht zu werden, müsste ihnen ein legaler Aufenthalt ermöglicht werden. Die Restriktionen, die mit einer Duldung einhergehen, verhindern das. So aberverschlechtert sich die rechtliche und psychische Situation vieler Menschen massiv. Diese Abwärtsspirale muss ein sofortiges Ende haben.“

Redebeitrag für die Demo von leipzig nimmt Platz am 18.03.2017

Hallo, ich bin heute hier für den Inititiativkreis:Menschen.Würdig und ich finde es ziemlich fett, wie viele Leute heute hier sind! Nazis marschieren und ihr seid auf der Straße, um dem etwas entgegen zu setzen bzw. den Scheiß zu verhindern! Richtig so!
Leipzig – an Tagen wie heute ist es eine aufbegehrende Insel inmitten des ultra-konservativen Sachsens.

Aber die Umstände, in denen Geflüchtete in Leipzig wohnen müssen, und der ziemlich steinige Weg aus der Massenunterkunft in eine eigene Wohnung … das lässt uns dann doch grübeln.
Es scheint so, dass rassistische Scheiße nicht nur durch die Straßen marschiert – sie macht es sich auch in den städtischen Verwaltungsabläufen gemütlich.

Zirka 4000 Menschen leben derzeit in Gemeinschaftsunterkünften. Im Stadtgebiet gibt es 15 kleine Unterkünfte mit bis zu 60 Plätzen, 16 sind größer  –  da wohnen teilweise bis zu 500 Menschen!

Wenn die Menschen aus diesen Gemeinschaftsunterkünften ausziehen wollen, sind sie gezwungen erstmal einen Antrag zu stellen. Aber das ist noch die kleinere Hürde: In Leipzig kommt die sogenannte Wohnfähigkeitsprüfung hinzu. Wohnfähigkeitsprüfung heißt, dass die Sozialarbeiter*innen der Gemeinschaftsunterkunft mit einem ziemlich übergriffigen und paternalistischen Fragebogen eine sogenannte Sozialprognose erstellen. Mit drei verschiedenen Smileys werden unter anderem die Fähigkeit zur „Mülltrennung“  oder Sauberkeit bewertet.
Gibt es negative Noten, werden Trainingsmaßnahmen eingeleitet – und im schlimmsten Fall dürfen die Betroffenen nicht ausziehen. Nun könnt ihr euch ja mal selbst überlegen, mit wie vielen Personen ihr schon zusammengelebt habt, die den Müll nicht „richtig“ trennen können und quasi nicht das Recht haben in einer eigenen Wohnung zu leben. Geflüchtete werden mit dieser Praktik einer diskriminierenden Prüfung unterworfen, die es für andere Menschen nicht gibt.

Doch diese institutionelle Diskriminierung ist nicht die einzige Hürde, die Geflüchtete bei der Wohnungssuche erfahren. Auch in Leipzig sind rassistische Diskriminierungen für Geflüchtete auf dem Wohnungsmarkt Normalität. Bereits der Anruf bei Vermieter*innen mit starkem Akzent oder ohne Deutschkenntnis führt regelmäßig zu Absagen. Oftmals werden diese mit Vorbehalten in der Nachbarschaft oder gar Verboten durch die Wohnraumeigentümer*innen begründet.

Hinzu kommt, dass sich in den letzten Jahren die Wohnsituation für alle in der Stadt lebenden Menschen verändert hat. Der Wohnungsmarkt unterliegt einem hohen Verwertungsdruck durch die Immobilienwirtschaft. Mieten steigen, Stadtviertel werden aufgewertet und Menschen verdrängt. Dies wirkt sich auch auf Geflüchtete aus, eine der stark von Armut bedrohten gesellschaftlichen Gruppen. Statt aktiv Wohnraum gerade für arme und armutsgefährdete Menschen zu schaffen, wird das Feld auch in Leipzig vor allem privaten Akteur*innen überlassen. Und damit ist es vorprogrammiert, dass die Mieten weiter steigen und Geflüchtete weiter diskriminiert werden.

Wir finden, so kann das nicht weiter gehen und daher initiieren wir dieses Jahr eine Kampagne!
Wir wollen Kämpfe verbinden und rufen euch hiermit zum Tanz auf! Nicht nur hier geborene, sondern auch neu dazu kommende Menschen müssen ein Grundrecht auf Wohnen mit allen Facetten reklamieren können.
Dies kann nichts anderes heißen, als dass Wohnen dem Markt entzogen und jede*r ein garantiertes Recht auf eine Wohnung haben muss.
Dies kann nichts anderes zur Folge haben, als dass gesellschaftlicher und institutioneller Rassismus bekämpft wird und die Bekämpfung das neue politische Paradigma wird.
Dies kann nichts anderes sein, als das Ende der Inwertsetzung von grundlegenden menschlichen Bedürfnissen.

Wir rufen Euch auf, mit uns zu kämpfen.
Für selbstbestimmtes, bezahlbares Wohnen für alle! Für Wohnen als Menschenrecht!