Stand von Menschen.Würdig bei der We’ll come united – Karawane

Im Spätseptember haben wir mit Menschen.Würdig e.V. bei der Karawane für Bewegungsfreiheit und gleiche Rechte von We’ll come united teilgenommen. Zusammen mit 150 Menschen versammelten wir uns in Grünau zu einem bunten Programm von Musik, Redebeiträgen, Spoken Word und testimonies.

Vor allem kamen Menschen aus den verschiedenen Lagern und Erstaufnahmeeinrichtungen zu Wort. Sie berichteten von den demütigenden Zuständen, in denen sie in Deutschland teilweise Leben müssen, aber auch von Momenten von Gemeinschaft und Solidarität. Ein inhaltlicher Schwerpunkt lag auch auf der Situation in den Herkunftsländern, vor allem Afghanistan, Iran, Syrien und weitere Länder, mit Krisen und Konflikten. Hier schließen wir uns als Menschen.Würdig e.V. voll und ganz an die Forderungen der migrantischen Aktivist:innen an: Deutschland muss sofort alle Abschiebungen in Länder stoppen, in denen grundlegendste Menschenrechte verletzt werden. Zusammen mit der Karawane fordern wir ein echtes Recht auf Asyl, keine Massenabfertigung schon vor den EU-Außengrenzen, wie es immer wieder diskutiert und im Pakt zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) geplant ist.

Auch wenn die aktuelle Situation keinen Anlass zur Freude darstellt, war für uns die Karawane dennoch ein wichtiger Moment, an den sogenannten „Sommer der Migration“ von 2015 zurückzudenken, der in vielerlei Hinsicht auch ein bestimmender Faktor für unsere Vereinsarbeit in den letzten zehn Jahren war. Die vielen dezentralen Initiativen und Aktionen, die auf dem Stadtfest in Grünau aktiv waren, boten außerdem eine ausgezeichnete Gelegenheit für gemeinsames Feiern und Netzwerken. Am Menschen.Würdig e.V.-Stand selbst war es uns ein wichtiges Anliegen, einen Gedenkort für die Menschen anzubieten, die in den letzten Jahren an den europäischen Außengrenzen umgekommen sind. Zusätzlich konnten wir Flyer und Broschüren zu unseren Beratungsangeboten sowohl an interessierte Aktivist:innen als auch an Kiezbewohner:innen verteilen.


Jay, Vereinsmitglied und Aktionsteilnehmerin, beschreibt die Atmosphäre in Grünau wie folgt: „Solche Veranstaltungen tun mir einfach extrem gut. Im Beratungsalltag und bei den ganzen konkreten Fällen, die wir unterstützen, fehlen manchmal Momente, wo wir uns auch mal auf die Schulter klopfen, wo wir kurz innehalten und nachdenken, was wir schon alles gemeinsam erreicht haben. Es war super, in Grünau auch direkt im Stadtviertel angebunden zu sein und auch von den Anwohner:innen viel Zustimmung zu erfahren.“

Gemeinsame PM mit dem SFR e.V. +++ Zukunftsorientierte Aufnahme auch in Sachsen – Wohnungs- statt Unterbringungspolitik! +++

29.07.2021

Am 29. Juli 2021 wurde auf Initiative der Diakonie Deutschland, dem Deutschen Caritasverband, dem Paritätischen Gesamtverband, der Arbeiterwohlfahrt Bundesverband und PRO ASYL der Aufruf: „Isolation beenden – das Ankommen fördern – faire Asylverfahren sicherstellen“ veröffentlicht. Der Aufruf fordert die Abschaffung von „AnkER-Zentren“ und ähnlich konzipierten Einrichtungen und listet konkrete Maßnahmen auf, die ein Ankommen in Sicherheit und Würde ermöglichen.

Die Sächsische Flüchtlingsrat e.V. (SFR) und der Leipziger Initiativkreis: Menschen.Würdig. (IKMW) unterstreichen diesen Aufruf und verdeutlichen die spezifische Lage in Sachsen.

Dazu Angela Müller vom SFR:

„Ein Ankommen bedeutet vor allem, Schutz vor weiterer Gewalt zu erfahren. Das scheitert in Sachsen bereits an der Hausordnung für die Aufnahmeeinrichtungen des Landes. Die sehen zum Beispiel regelmäßige Zimmerdurchsuchungen oder Hausverbote von bis zu vier Stunden vor. Ein von uns als SFR und IKMW wie vom Antidiskriminierungsbüro Sachsen in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten bestätigt, dass der Freistaat hier regelmäßig gegen Art. 13 GG verstößt – die Unverletzlichkeit der Wohnung.“

Kim Schönberg vom IKMW ergänzt:

„Im Doppelhaushalt 2021/22 stellte der Sächsische Landtag finanzielle Mittel für die Identifizierung vulnerabler Personen wie einen effektiven Gewaltschutz bereit. Daran anschließend gehen wir davon aus, dass Personen, die als besonders schutzbedürftig identifiziert werden, auch die entsprechende Versorgung in den Kommunen erhalten. Ebenso muss dringend die Hausordnung für die Aufnahmeeinrichtung überarbeitet werden.“

Beide schließen:

„Erste Reformansätze sind erkennbar. Nun erwarten wir uns die schnelle Umsetzung im Sinne des Grundgesetzes. Tatsächlich, und das zeigt das Rechtsgutachten deutlich, geschehen in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes bisher Grundrechtseingriffe, die so nur in Justizvollzugsanstalten legitimiert sind. Gewalt ist so vorprogrammiert, teils wird in den Einrichtungen gar überhaupt erst die besondere Schutzbedürftigkeit in Form psychischer Erkrankungen und Traumata geschaffen. Das muss ein Ende haben!“

PM: Watch the Lager – Rechtsgutachten erhöht Handlungsdruck auf Regierung – Hausordnungen in Lagern sind verfassungswidrig

Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz haben das Antidiskriminierungbüro Sachsen e.V., der Sächsische Flüchtlingsrat e.V. sowie der Leipziger Initiativkreis: Menschen.Würdig. ein Rechtsgutachten vorgestellt, welches sich mit den Hausordnungen in sächsischen Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete befasst. Ein solches zu beauftragen war angesichts zahlreicher Sanktionsmöglichkeiten, die die Hausordnung vorgibt, notwendig geworden. So können die Betreiber der Aufnahmeeinrichtungen regelmäßig die Zimmer der Bewohner*innen durchsuchen. Auch ist vorgesehen, bei Verstößen gegen die Hausordnung ein Hausverbot von bis zu vier Stunden zu erlassen.

Der Verfasser des Gutachtens, der Jurist Martin Wiesmann, führt aus:
„Solche Grundrechtseingriffe sind nur in Justizvollzugsanstalten haltbar. Dort geschehen sie auf Basis eines parlamentarisch verabschiedeten Gesetzes. Hausordnungen können  intensive Eingriffe nicht rechtfertigen. Die Sanktionsmöglichkeiten sind verfassungsrechtlich hinten und vorne nicht haltbar. So, wie die Hausordnung ausgestaltet ist, wird regelmäßig gegen Art. 13 Grundgesetz verstoßen – dem Schutz der Wohnung.“

Der ehemalige Bewohner der Dresdner Aufnahmeeinrichtung Bremer Straße berichtet:
„Wegen einer vergessenen hygienischen Maske durfte ich für vier Stunden die Aufnahmeeinrichtung nicht betreten. Auch Zimmerdurchsuchungen sind an der Tagesordnung. Du sitzt in deinem Zimmer und auf einmal kommen acht Menschen und gehen durch all deine Gegenstände. Einige werden dir auch weggenommen, das kann auch schon mal ein Parfum sein. Das zu besitzen ist angeblich illegal.“

Für Angela Müller vom Sächsischen Flüchtlingsrat e.V. steht deswegen fest:
„Die sächsische Regierungskoalition muss bei ihrer geplanten Überarbeitung des Gewaltschutzkonzeptes auch die Hausordnung mitdenken. Anderenfalls bleibt der Gewaltschutz hinter den notwendigen Anforderungen zurück. Als SFR werden wir uns über diese Reform hinaus immer für die Forderung ‚Lager abschaffen‘ einsetzen. Das bedeutet konkret, dass die §§ 47 und 53 des Asylgesetzes überarbeitet werden müssen.“

Sotiria Midelia vom Anitidiskriminierungsbüro Sachsen e.V. schließt sich den Forderungen an und fügt hinzu:
„Die Grundrechtseingriffe durch Hausordnungen sind eine Form von Diskriminierung und ein strukturelles Diskriminierungsproblem. Deswegen bedarf es einer politischen Lösung. Der rechtliche Verfahrensweg, dass Betroffene ihr Recht nach §13 GG einklagen, ist zu Lasten der Betroffenen – Präzedenzfälle sind an der Stelle wichtig, aber es bedeutet zugleich, dass Betroffenen eine weitere Last aufgebürdet wird. Daher sehen wir die Verantwortung beim sächsischen Innenministerium die verfassungswidrigen Hausordnungen grundrechtskonform neu zu gestalten.“

Mark Gärtner vom Initiativkreis: Menschen.Würdig. schließt mit dem Aufruf:
„Solang es keine politische Lösung gibt, muss offenbar der Weg über die Gerichte gegangen werden, um Veränderungen zu erreichen. Deswegen haben wir heute auch Handlungsempfehlungen veröffentlicht, die Geflüchtete und Unterstützer*innen ermutigen sollen, den Rechtsweg zu beschreiten. Anwaltliche Unterstützung können wir zusichern.“

Das gesamte Rechtsgutachten hier, die Handlungsempfehlungen hier sowie ein Paper, welches einen Überblick über die Entwicklungen in der Frage sowie eine kurze Zusammenfassung des Rechtsgutachtens bietet. Die Pressekonferenz kann hier auf YouTube noch einmal angesehen werden.