„Kritisch-solidarische Gedanken zur linken Intervention in Rackwitz“ vom 13.09.2013

Was bisher geschah: In Rackwitz, einer Kleinstadt in Nordsachsen, wurde die Errichtung eines neuen Lagers für 120 AsylbewerberInnen beschlossen. Gegen die Aufnahme von Flüchtlingen gründete sich eine Bürgerinitiative, die einen bedeutenden Teil der Rackwitzer Bevölkerung repräsentiert und im Ort gegen die geplante Unterkunft hetzt. Zudem hat die NPD angekündigt, diesen Samstag mit einer Kundgebung an die rassistische Stimmungsmache andocken zu wollen. Um in diese unappetitliche Gemengelage einzugreifen, hat sich ein Bündnis aus antifaschistischen und antirassistischen Gruppen aus Leipzig konstituiert, welches zu einer Demo in Rackwitz unter dem Motto „Pogrome verhindern, bevor sie passieren!“ mobilisiert.

Obwohl wir das Anliegen dieser Demonstration selbstverständlich teilen, sehen wir das gewählte Vorgehen kritisch und bezweifeln, ob sich die angestrebten Ziele auf diese Art und Weise erreichen lassen. Auch wenn die Errichtung des Lagers in Rackwitz als Folge der Proteste der Bürgerinitiative vorerst aufgeschoben wurde, finden wir eine einen Erfahrungsaustausch und eine Debatte darüber, wie wir auf rechte Mobilisierungen gegen neue AsylbewerberInnenlager reagieren können, wichtig. Dies, weil wir damit rechnen, dass wegen der derzeit erstmals seit Jahren wieder steigenden Zahl an AsylbewerberInnen und der daraus folgenden Errichtung neuer Lager in den nächsten Monaten und Jahren mit ähnlichen Mobilisierungen an vielen Orten zu rechnen ist. Daher haben wir uns entschieden, einen Brief, den wir an das Bündnis in Leipzig gesandt haben, auch hier zu veröffentlichen.

Liebes Rackwitz-Bündnis,

vorneweg: wir teilen eure Wut über die aktuelle asylfeindliche Kampagne in Rackwitz! Wir finden es zum Kotzen, dass Menschen, die hier her kommen, um ihr Leben zu retten, diffamiert werden und haben manchmal das ohnmächtige Gefühl, die gleiche Scheiße wie vor zwanzig Jahren zu erleben.

Bitte versteht uns daher nicht falsch: Wir finden es genauso wie ihr wichtig, der NPD und anderen rassistischen BrandstifterInnen in Rackwitz entgegenzutreten und teilen euer Ziel, dort für eine offene und solidarische Gesellschaft zu streiten, in der alle Menschen willkommen sind.

Eine andere Meinung als ihr haben wir aber in der Frage, wie dieses Ziel erreicht werden kann, also auf einer Ebene der Taktik. In eurem Aufruf lehnt ihr eine Auseinandersetzung mit den RackwitzerInnen ab, egal ob sich diese unverhohlen feindlich  geben oder vermeintlich besorgt. Auf euren Plakaten werbt ihr klein mit dem Spruch „Strafexpedition nach Rackwitz“. Unabhängig von dem kolonialistischen Touch dieses Wortes finden wir das damit assoziierte Auftreten falsch. Einen Tag nach Rackwitz zu fahren, um dort die eigene Empörung und Ablehnung deutlich zu machen, ist verständlich. Es wird unserer Meinung nach aber die Situation der AsylbewerberInnen, die dort bald wohnen müssen, verschlechtern und jede Form einer möglichen linken Solidarität diskreditieren. Um es klar zu sagen: Während die meisten nach der Demo nach Connewitz zurückkehren können, müssen die AsylbewerberInnen wahrscheinlich bald dort leben. Daher kann es unserer Meinung nach nicht um einen möglichst konsequenten Antirassismus gehen, sondern um eine Verbesserung der Situation vor Ort unter den gegebenen, schlechten Bedingungen.

Als Beispiel sehen wir dafür die linke Reaktion kürzlich in Berlin-Hellersdorf. Damit wollen wir nicht sagen, dass dort alles in Ordnung wäre. Aber es ist dort unserer Meinung nach ganz gut gelungen, die rassistische Mobilisierung zu brechen. Und das trotz einer starken örtlichen Naziszene und einer ebenfalls feindlichen Grundstimmung in einem Teil der Bevölkerung, wie sie in der BürgerInnenversammlung wenige Wochen vor Bezug des Heimes zum Ausdruck kam. Maßgeblich für die Verbesserung der Lage dort war unserer Meinung nach die kontinuierliche Mahnwache vor dem Heim, die sich um die Vermittlung unserer Inhalte an die Bevölkerung bemühte. Damit gemeint ist keine Anbiederung, aber das Gespräch auch mit GegnerInnen des Heims, das Anpassen der Flyertexte an ein weitgehend depolitisiertes Publikum, die Aufklärung über tatsächliche Fluchtgründe, Kosten der Asylunterbringung und Ursachen des Sozialabbaus. Dazu kam die Isolierung der Nazis durch entschlossene Gegenwehr gegen ihre Kundgebungen und eine große mediale Öffentlichkeit, die relativ stark zu unseren Gunsten berichtete.

Wir wissen nicht, ob ein ähnliches Vorgehen in Rackwitz möglich wäre. Grundlage waren in Hellersdorf schließlich lokale Zusammenhänge um das Jugendhaus La Casa und die Alice-Salomon-Hochschule. Diese wurden von „Innenstadtlinken“ unterstützt, stemmten aber viel Arbeit und hatten durch ihren „Lokalkolorit“ eine andere Sprechposition, so blöd dies klingt. Nötig wäre daher unserer Meinung nach die mühselige Suche nach Verbündeten vor Ort, so unterschiedlich sie von uns auch in Auftreten und Inhalten sein mögen. Ohne Ortskenntnis würden wir diese noch am ehesten in der lokalen Linkspartei vermuten. Vielleicht wäre es mit diesen möglich, eine Initiative a la „Rackwitz hilft Asylsuchenden“ o.ä. zu starten. Für die Isolierung der NPD ist die Demo am Samstag unter Umständen ein probates Mittel. Dies kann aber nur gelingen, wenn die lokale Bevölkerung nicht pauschal verurteilt wird, sondern versucht wird, den vorurteilsbehafteten, aber nicht geschlossen neonazistisch denkenden Teil mit Gesprächen oder einfachen Flyern umzustimmen.

Wir würden uns wünschen, dass dies beim Auftreten bedacht wird und hoffen auf eine erfolgreiche Demo.

Mit niedergeschlagenen Grüßen,
antirassistisch Aktive aus Leipzig.