Visionen für eine menschenrechtsorientierte Asylpolitik

Die Politik der Grenzen, der Einreisekontrollen und Aufenthaltsregelungen muss abgeschafft werden. Wir kritisieren dieses System, das auch und insbesondere Menschen auf der Flucht diskriminiert. Im Grunde fordern wir nichts anderes als Rechte für alle. Konkret schlagen wir Folgendes vor:

1. Das Recht auf Einreise gilt für jeden Menschen. Widerstand dagegen darf nicht länger als Ängste, Sorgen oder Kritik verharmlost werden, sondern ist und bleibt purer Rassismus.

In den letzten Monaten ist in Deutschland neben einer Zunahme an rassistischen Übergriffen auf Migrant*Innen und ihre Unterkünfte, einer Verschärfung des Asylrechts und einem offen zur Schau getragenen gesellschaftlichen Rassismus, auch eine große bürgerliche Solidaritätsbewegung für Geflüchtete entstanden. Im Zuge dieser ist es dazu gekommen, dass auf einmal unkonventionelle Lösungen für Probleme bei der Unterkunft möglich werden, Menschen zahllose Sachspenden abgeben, Wohnraum zur Verfügung stellen und sich in ihrer freie Zeit sowie im Beruf aktiv für die Bedürfnisse von Geflüchteten einsetzen. Doch trotz dieser offensichtlichen positiven Veränderung, etwa zur Situation Anfang der Neunziger, mehren sich auch innerhalb des bürgerlichen Unterstützer*Innenspektrums die Fragen nach „einem Ende der Flüchtlingswelle“ und die Forderungen nach einer Limitierung durch die Grenzbehörden. Schließlich können „wir“ ja nicht „alle“ aufnehmen. Oder anders gesagt, sind „wir“ ja auch „nicht das Sozialamt der Welt“.

Dass Deutschland nur einen kleinen Teil aller Geflüchteten weltweit aufnimmt, gerät dabei völlig aus dem Blickfeld. Wir wollen uns deswegen diesen Stimmen entschieden entgegenstellen und verhindern, dass Menschen nach einem Ende der Flucht fragen, über die Überforderung der eigenen Ressourcen lamentieren und letztendlich offener Rassismus als „Kritik“, „Ängste“ oder „Vorurteile“ bezeichnet wird. Der Diskurs soll wieder hin zu einer echten grenzenlosen Solidarität verschoben werden. Insbesondere, weil es einem Großteil der Menschen in Deutschland finanziell gut geht, muss es selbstverständlich sein, dass alle Menschen, die Hilfe benötigen, hier ohne Vorbehalte willkommen sind.

Außerdem wollen wir klar stellen, dass für uns Flucht (aus welchen Gründen auch immer) genauso wie jede andere Form von Migration, keine Belastung für eine Gesellschaft darstellt und erst Recht keine Gefahr ist: Weder für die Menschen, noch für eine angeblich existierende Form einer homogenen weißen, deutschen, christlichen Abendlandkultur.

Visafreiheit
Wir fordern deswegen, dass alle Menschen egal aus welchem Herkunftsland, welchen Alters, Geschlechts, Hautfarbe oder welcher Religion, unabhängig von ihrem Besitz, Einkommen oder sozialen Status, die Möglichkeit haben müssen, so wie bereits jetzt zahlreiche Menschen aus den Ländern des Globalen Nordens, ungehindert nach Europa mit einem Touristenvisum für 3 Monate einreisen zu können. Somit wollen wir sicherstellen, dass Flüchtende die Möglichkeit besitzen ihren Weg nach Europa nicht über lebensgefährliche Routen durchführen zu müssen, bei denen sie ihr Leben riskieren und nicht selten auch verlieren. Außerdem soll so sichergestellt werden, dass Geflüchtete so ihr Recht auf Asyl hier vor Ort in Deutschland, sowie in jedem anderen europäischen Land, problemlos nach ihrer Ankunft in Anspruch nehmen und gegebenenfalls einklagen können.

Arbeitsmöglichkeit
Zusätzlich zu den Menschen, die vor Krieg, Folter, politischer Verfolgung o.Ä. flüchten, und somit unter dem Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention stehen und ein Recht auf Asyl in Deutschland und der EU haben, kommen auch zahlreiche Menschen nach Europa, die aus anderen (nicht minder schwerwiegenden) Gründen ihre Heimat und ihre Familien verlassen und sich auf einen meist lebensgefährlichen Weg begeben. Diese Menschen, die hierzulande oft abfällig als „Wirtschaftsflüchtlinge“ bezeichnet werden, und deren unverzügliche Abschiebung im Zuge der angeblichen Überforderung Deutschlands mit der aktuellen Situation immer häufiger gefordert wird, haben das gleiche Recht in Deutschland zu leben und zu arbeiten, wie jede andere Person auch. Denn sie fliehen aus nicht minder prekären Verhältnissen in ihrer Heimat und besitzen oft keine Alternative zur Verbesserung ihrer Verhältnisse und der ihrer Familien, als die Flucht und ein Hoffen auf Asyl.

Momentan besitzen sie meistens keine Möglichkeit auch nur für einen Zeitraum weniger Jahre in europäische Länder legal einzureisen, um hier zu arbeiten, zu studieren oder zur Schule zu gehen. Stattdessen sind sie oft gezwungen hohe Summen für einen gefährlichen Weg zu bezahlen. Geld, das viele nicht haben. Diejenigen, die es bis nach Deutschland schaffen, werden im Anschluss kriminalisiert und stigmatisiert und müssen oft ohne Papiere und Sozialversicherung in ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen leben.

Wir wenden uns daher gegen diese Abschottungspraxis und fordern zusätzlich zu der oben erwähnten Visafreiheit eine Möglichkeit für alle Menschen, egal aus welchem Herkunftsland und ohne die Notwendigkeit eine hohe Kaution hinterlegen zu müssen, mit einem Arbeitsvisum in die EU und nach Deutschland einreisen zu können.

Wegfall des Asylverfahrens. Umkehr der Beweislast.
Wenn Menschen auf der Flucht endlich den gefährlichen Weg aus ihrer Heimat nach Europa und bis nach Deutschland geschafft haben, stehen sie erst am Beginn des Asylverfahrens. Jetzt beginnt für viele eine Zeit des Wartens, des Hoffens und des Bangens. Erst wenn das Asylverfahren abgeschlossen ist und die Betroffenen eindeutig bewiesen haben, dass sie nach Ansicht der Behörden legitime Gründe hatten ihre Heimat zu verlassen, ihre Familien zurück zu lassen und ihr Leben zu riskieren, erst dann dürfen sie die Rechte, die sie als Geflüchtete besitzen voll in Anspruch nehmen: In eine eigene Wohnung ziehen und im bestmöglichen Fall eine Ausbildung, ein Studium oder eine Arbeit beginnen und ihre Familien nachholen. Wir fordern die Beweislast umzukehren, sodass in Zukunft der Staat einer Person nachweisen muss, dass ihr Fluchtgrund nicht legitim gewesen sei. Alle Menschen die sich auf den Weg gemacht haben und hier Asyl beantragen, sind auch bis auf weiteres als solche zu behandeln.

2. Das Asylverfahren in seiner jetzigen Form kriminalisiert Menschen die vor Krieg, Hunger und Armut fliehen und erschwert ihnen ihr Recht auf Asyl wahrnehmen zu können

Die Menschen, die derzeit auf ihrer Flucht nach Europa kommen, finden sich einem enormen bürokratischen Apparat gegenüber, welcher sie vor allem in monate- oder jahrelangen Verfahren in ihrer Antragstellung behindern soll, ihre Grundrechte beschneidet und weitere Flüchtende abschreckt. Wir wollen die aktuellen Verhältnisse umkehren und sicherstellen dass die Menschen ihr Recht auf Asyl in Anspruch nehmen können, ohne selbst die Beweislast erbringen zu müssen, dass sie sich aufgrund von legitimen Fluchtgründen (was auch immer das heißen soll) auf ihren Weg gemacht haben. Wir fordern deswegen eine Reform der Erstaufnahme, die es den Menschen ermöglichen soll frei und selbstbestimmt über ihr Leben hier in Deutschland entscheiden zu können.

Einmalige Registrierung
Viele Flüchtende werden auf ihrem Weg von ihrer Heimat bis an die Erstaufnahme-Einrichtungen mehrfach von unterschiedlichsten Behörden registriert. Dadurch zieht sich der Prozess der „Reise“, sowie der Antragstellung unnötig in die Länge. Obwohl zahlreiche Flüchtende bereits im Besitz von Papieren des UNHCR sind, die ihnen einen Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention zugesteht, werden sie weiterhin an der Einreise in den Schengen-Raum gehindert. Wir fordern, dass allen Menschen die legale Einreise in den Schengen-Raum ermöglicht wird: Sei es mit einem gültigen Reisepass im Rahmen eines 3-monatigen Touristenvisums, einem gültigen UNHCR-Dokument oder wenn keine gültigen Papiere vorliegen, mit einem vom UNHCR an der EU-Außengrenze ausgestellten Dokument. Mit solchen Dokumenten muss es jedem flüchtenden Menschen möglich sein, in ein europäisches Land seiner Wahl einzureisen und dort sein Recht auf Asyl in Anspruch zu nehmen.

Freie Wohnortswahl
Derzeit werden Geflüchtete nach ihrer Ankunft in Deutschland über den Königsteiner Schlüssel auf die unterschiedlichen Bundesländer verteilt. Dabei wird nicht berücksichtigt, ob die Flüchtenden bereits Familienangehörige, Freunde oder Verwandte in anderen Teilen Deutschlands haben, die bei ihrer Ankunft und dem Beginn ihres zukünftigen Lebens enorm wichtig sind. Auch übergeht diese Regelung die unterschiedliche Situation, mit der die Flüchtenden in den verschiedenen Regionen empfangen werden. Die Verteilung dient alleine dazu, dass die „wirtschaftliche Last“ die Flüchtende offenbar primär darstellen, gleichmäßig auf alle Bundesländer entsprechend ihrer Kapazitäten verteilt wird. Da aber der Bund bereits zugesagt hat, die Länder und Kommunen durch Pauschalleistungen pro Kopf finanziell zu unterstützen, und somit eigentlicher Träger der Kosten ist, ist diese erzwungene Verteilung bereits obsolet. Stattdessen müssen Geflüchtete unserer Ansicht nach die Möglichkeit haben selbstständig über ihren Wohnort zu entscheiden.

Existenzminimum in Barleistungen
Anstatt Geflüchtete nach ihrer Ankunft in Massenunterkünften unterzubringen, ihre Bewegungsfreiheit massiv einzuschränken und das ihnen zustehende Existenzminimum in Sachleistungen, wie Essenspaketen und Deutschkursen auszuhändigen, fordern wir die Möglichkeit für Geflüchtete eigenständig über die Verwendung ihrer Leistungen zu entscheiden. Dies ist nicht nur ein grundsätzliches Recht der Betroffenen, sondern spart auch Kosten und Zeit. Tatsächlich zeigen erste Projekte wie in Schwäbisch-Gmünd, dass die dezentrale Unterbringung von Geflüchteten in kommunalen Sozialwohnungen nicht nur von enormem Vorteil ist, sie ist auch langfristig billiger und genauso schnell zu errichten. Anstatt Menschen in Containerstädten und Zeltdörfern unterzubringen, die ebenfalls teuer gebaut werden müssen und oft minimale Standards nicht einhalten, kann durch billigen Wohnraum bereits von Anfang ein Einstieg erleichtert werden. In diesem neu entstandenen Wohnraum können neben Geflüchteten auch andere Menschen leben und es wird so eine räumliche Stigmatisierung verhindert. Menschen die bereits über Freunde, Verwandte oder Unterstützer*Innen vor Ort verfügen, muss es natürlich ebenfalls freigestellt sein bei diesen unterzukommen.

Sofortige Freizügigkeit
Solange sich Geflüchtete in Erstaufnahmeeinrichtungen befinden, unterliegen sie der Residenzpflicht. Daneben gibt es noch weitere Einschränkungen in den Bereichen Arbeit, Schule und Ausbildung. Für die ersten drei Monate gilt für Geflüchtete ein komplettes Arbeitsverbot, danach können sie eine eingeschränkte Arbeitserlaubnis beantragen. Sobald sie die Erstaufnahmeeinrichtung verlassen haben, können Geflüchtete, die bereits eine Aufenthaltsgenehmigung haben, eine uneingeschränkte Arbeitserlaubnis beantragen. Allerdings gilt für Geflüchtete bis zum 15. Monat des Aufenthaltes die Vorrangprüfung: Freie Stellen und Ausbildungsplätze werden von den Jobcentern zuerst an deutsche StaatsbürgerInnen, EU-Bürger*Innen und Ausländer*Innen mit unbegrenzter Arbeitserlaubnis vergeben. Somit wird den Menschen der Zugang zum Arbeitsmarkt massiv erschwert. Zusätzlich dazu werden vielen Geflüchteten (Hoch)Schul- und Berufsabschlüsse aus ihren Heimatländern nicht anerkannt. Währenddessen zeigen private Initiativen, dass das Interesse vieler Arbeitsgeber*Iinnen groß ist; fast so groß wie die Motivation der Menschen, der Untätigkeit und Monotonie der Heime zu entkommen. Den Geflüchteten in Erstaufnahmeeinrichtungen muss daher endlich ihr Recht auf Freizügigkeit ermöglicht werden, nicht nur im Blick auf Bewegungsfreiheit, sondern auch was Arbeiten, Schulen oder Universitäten angeht. Wir fordern eine sofortiges Ende der Residenzpflicht, und eine Arbeitserlaubnis für Geflüchtete ab dem ersten Tag.

Initiativkreis: Menschen.Würdig, Januar 2016
Feedback erwünscht an: menschen.wuerdig@googlemail.com

Dieser Text kann [hier] als pdf-Datei heruntergeladen werden.

Erstaufnahme nach menschenrechtlichen Maßstäben — Menschenrechte und Verfahrensrechte Asylsuchender uneingeschränkt gewährleisten!

Die Menschenrechte der Asylsuchenden werden aufgrund der aktuellen Notunterbringung in Turnhallen, Zelten und Messehallen weitestgehend ignoriert. Eine jahrelange Fehleinschätzung der Fluchtbewegungen wird nun durch schlechte Unterbringungsverhältnisse zu Lasten Geflüchteter ausgetragen. Ergänzend zu den Vorschlägen, wie eine Erstaufnahme zukünftig gestaltet werden sollte, wird im Folgenden der Sachstand im Lichte der Menschen- und Verfahrensrechte betrachtet, um die kurzfristig dringend notwendigen Veränderungen der Situation aufzuzeigen.

A. Menschenrechtliche Verpflichtungen

Die Bundesrepublik, die Bundesländer und auch die Kommunen sind an die Berücksichtigung der Menschenrechte verpflichtet, sobald sie nach Art. 59 Abs. 2 GG als Bundesgesetz verabschiedet werden. Dies betrifft die internationalen Menschenrechtskodifikationen des Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Zivilpakt), im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Sozialpakt), in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie der europäischen Grundrechtecharta (GRCh) [1], in der UN-Frauenrechtskonvention, in der UN-Behindertenrechtskonvention oder in der UN-Kinderrechtskonvention. [2]

Im Folgenden sollen die einzelnen menschenrechtlichen Verpflichtungen dargestellt werden und Bezug auf die aktuelle Unterbringung genommen werden. Vorweg kann allgemein auf das Recht auf angemessene Unterbringung aus Art. 11 Abs. 1 des UN-Sozialpaktes, Art. 25 UN-Kinderrechtskonvention hingewiesen werden. Als Recht für jede Person ist dieses diskriminierungsfrei zu gewähren. Die aktuelle mehrmonatige Massenunterbringung Geflüchteter in ehemaligen Baumärkten, Zelten, Leichtbauhallen oder Messehallen widerspricht diesem Grundrecht evident.

Menschenwürde

Bei systematischen Fehlern im Asylverfahren oder wenn „die Möglichkeit nicht als abwegig verworfen werden kann, dass eine erhebliche Zahl Asylsuchender in überfüllten Einrichtungen ohne jede Privatsphäre oder sogar in einer gesundheitsgefährdenden oder gewalttätigen Umgebung untergebracht werden könnte“, geht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte von einer Verletzung des Verbots der Folter und der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung (Art. 3 EMRK) aus.

Da nach Artikel 15 EMRK von Artikel 3 EMRK in keinem Fall, auch Notstandsfall, abgewichen werden darf, ist das zu schließende Fazit, dass die Begleiterscheinungen, die mit der Verpflichtung in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu wohnen, einhergehen, eine unentschuldbare Menschenrechtsverletzung darstellen.
Die Menschenwürde wird in der BRD zudem durch das Sozialstaatsprinzip ausgestaltet. Hierzu führte das Bundesverfassungsgericht aus:

„Auch eine kurze Aufenthaltsdauer oder Aufenthaltsperspektive in Deutschland rechtfertigt es im Übrigen nicht, den Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf die Sicherung der physischen Existenz zu beschränken. Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG verlangt, dass das Existenzminimum in jedem Fall und zu jeder Zeit sichergestellt sein muss. Art. 1 Abs. 1 GG garantiert ein menschenwürdiges Existenzminimum, das durch im Sozialstaat des Art. 20 Abs. 1 GG auszugestaltende Leistungen zu sichern ist, als einheitliches, das physische und soziokulturelle Minimum umfassendes Grundrecht.“
„Ausländische Staatsangehörige verlieren den Geltungsanspruch als soziale Individuen nicht dadurch, dass sie ihre Heimat verlassen und sich in der Bundesrepublik Deutschland nicht auf Dauer aufhalten. Die einheitlich zu verstehende menschenwürdige Existenz muss daher ab Beginn des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland realisiert werden.“
(BVerfG, vom 18. Juli 2012- 1 BvL 10/10 -, – 1 BvL 2/11)

Diese Rechtsprechung ist durch die Exekutive bei ihrem Handeln zwingend zu berücksichtigen.

Es muss daher umgehend darauf hingewirkt werden, dass die Erstaufnahmeeinrichtungen ein Mindestmaß der Teilhabe im Lichte des sozio-kulturellen Existenzminimums aufweisen.

Menschenwürdiges Existenzminimum

Die Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG garantiert ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Menschenrecht.. Das menschenwürdige Existenzminimum umfasst sowohl die physische Existenz des Menschen als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben.
Eine Differenzierung nach dem Aufenthaltsstatus ist nur möglich, sofern der Bedarf der Betroffenen an existenznotwendigen Leistungen von dem anderer Bedürftiger signifikant abweicht und dies folgerichtig in einem inhaltlich transparenten Verfahren anhand des tatsächlichen Bedarfs gerade dieser Gruppe belegt werden kann. Doch die Bedürfnisse von Schutzsuchenden werden in aller Regel eher überdurchschnittlich sein. Dennoch wird noch nicht einmal der Schutz der physischen und psychischen Gesundheit von Geflüchteten gewährleistet.

Recht auf Gesundheit

Der Zugang zu medizinischer Versorgung stellt ein elementares Menschenrecht dar (Art. 12 Zivilpakt, Art. 24 UN-Kinderrechtskonvention). Dieses wird in den Erstaufnahmeeinrichtungen nur unzureichend umgesetzt. Dies hat sowohl mit dem Zugang zu medizinischer Versorgung, als auch mit der Form der Unterbringung an sich zu tun. Die Massenunterbringung von Personen führt sowohl zu psychischen Stress, als auch zu kaum kontrollierbaren Übertragung von Erkrankungen, von dem besonders Personen mit schwachem Immunsystem, wie beispielsweise Kleinkinder, betroffen sind.
Die Förderung psychischer Belastung durch eine Unterbringung in Hallen oder Zelten mit mehreren hundert Personen ist spätestens mittelfristig nicht von der Hand zu weisen. Die im Asylgesetz neu geregelte Unterbringung von bis zu sechs Monaten – für Personen aus sicheren Herkunftsländern sogar von mehr als sechs Monaten – hat erhebliche Auswirkungen auf die psychische Gesundheit.
Daraus folgt, dass das medizinische Personal vor Ort aufgestockt und strukturell gestärkt werden muss.

Recht auf Privatsphäre und Recht auf Familie

Das Recht auf Privatsphäre (Art. 8 EMRK und Art. 7 GRCh) garantiert Rückzugsräume und daher die Möglichkeit zur Herstellung und Wahrung des Privatlebens für Einzelpersonen, Paare oder Familien. Diese sind in den Massenunterkünften nicht gegeben. Die Räume müssten auch abschließbar sein, um zumindest kurzzeitig eine beruhigte Atmosphäre zu schaffen und sich vor Eingriffen in die Privatsphäre zu schützen. Darüber hinaus ist zu gewährleisten, dass es zu keiner Überbelegung der Unterkünfte kommt. [3]
Dies stellt nach Hendrik Cremer, Mitarbeiter am Institut für Menschenrechte, folgende Bedingung dar: „Gemeinsam und unter sich bleiben können.“ (HC S. 7)

Rechte der Kinder

Die UN-Kinderrechtskonvention gilt in der BRD seit Juli 2010 uneingeschränkt für alle Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Das Recht auf Spiel und aktive Erholung ist für Kinder ausgesprochen wichtig. Darüber hinaus ist der Zugang zu Bildung sicherzustellen, der eine umfassende fünftägige Schulbildung umfasst. Der diskriminierungsfreie Zugang zum Regelschulsystem muss schnellstmöglich erfolgen, laut Artikel 14 der EU-Aufnahmerichtlinie nach mindestens drei Monaten. Diese Norm kollidiert mit der Verlängerung des Aufenthalts in Erstaufnahmeeinrichtungen.
In den Erstaufnahmeeinrichtungen wird regelmäßig die 3-Monats-Frist überschritten, nur vereinzelt gibt es während des Aufenthalts in den Erstaufnahmeeinrichtungen Sprachunterrichtsangebote, die jedoch keinen Ersatz hinsichtlich des Lehrangebots sowie der sozialen integrativen Funktion von Schulen darstellen können.

Schutz vor sexuellen Übergriffen und von LSBTI[4]-Personen

Die EMRK gibt durch ihre Art. 3 und 8 und der daraus entwickelten Rechtsprechung auch Vorgaben zu Prävention, Intervention und gegebenenfalls Rechtsschutz vor. [5] Diese sind in den Massenunterkünften dringend zu beachten und Maßnahmen zum Schutz vor sexuellen Übergriffen und von LSBTI-Personen haben umgehend zu erfolgen.

B. Die Verfahrensrechte

Die Postzustellungsvorschrift des § 10 Abs. 4 S. 2 AsylG „ Postausgabe- und Postverteilungszeiten sind für jeden Werktag durch Aushang bekannt zu machen“. Dies wurde in der Vergangenheitin den Hallenunterkünften in Leipzig nicht eingehalten. Stattdessen wurde sogar eingehende Post geöffnet und nicht weitergeleitet.
In Sachsen wird z.B. im Gegensatz zu Gefängnissen kein Recht auf Besuchsempfang eingeräumt und somit auch nicht sichergestellt, dass Organisationen und Personen, die Beratungsleistungen für Antragsteller erbringen, effektiven Zugang zu Antragstellern erhalten, wie es Art. 8 Abs. 2 der Asylverfahrensrichtlinie fordert.
Nach Art. 5 Aufnahmerichtlinie müssten Geflüchtete Informationen darüber erhalten, welche Leistungen ihnen im Rahmen der Aufnahme zustehen und darüber welche Organisationen oder Personengruppen einschlägige Rechtsberatung leisten und welche Organisationen ihnen im Zusammenhang mit den im Rahmen der Aufnahme gewährten Vorteilen, einschließlich medizinischer Versorgung, behilflich sein oder sie informieren können. Und diese Informationen müssen schriftlich und in einer Sprache erteilt werden, die der Antragsteller versteht oder von der vernünftigerweise angenommen werden darf, dass er sie versteht und dies innerhalb einer Frist von höchstens fünfzehn Tagen nach dem gestellten Antrag auf internationalen Schutz. Diese Informationspflicht wird nicht eingehalten.

Nach Art 6. Aufnahmerichtlinie soll eine Registrierung spätestens nach 3, in Ausnahmefällen nach 6 Tagen erfolgen. Aufgrund mangelnder personeller sowie technischer Ausstattung kommen die Behörden dem nicht nach, stattdessen fanden sich bisher unterschiedlichste Zettel von der Bundespolizei, der Zentralen Ausländerbehörde oder gar Einrichtungsbetreibern mit unvollständigen oder falschen Angaben Verwendung. Seit dem 24.10.2015 ist diese sogenannte BüMA (Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender) gesetzlich verankert, eine teilweise Monate spätere Registrierung soll damit legitimiert werden, steht aber im Widerspruch zu EU-Recht. Mittlerweile werden sogar Bescheingungen vor der BüMA selbst ausgestellt.
Der eigentliche Beginn des Verfahrens kann für Menschen aus bestimmten Herkunftsstaaten Monate, auch mehr als 1,5 Jahre, dauern. Praktisch für das BAMF: So werden die Dauer von Asylverfahren künstlich kurz gehalten, gerechnet wird nämlich erst nach Verfahrenseröffnung.
Gesetzlich ist nicht geklärt, wie sich die BüMA auf einschlägige Fristen, beispielsweise das 3-monatige Arbeitsverbot, EAE-Aufenthalt oder Residenzpflicht, auswirkt.
Nach einer Antwort der Bundesregierung jedoch sollen alle Fristen auf die BüMA angerechnet werden [6]. Davon weichen jedoch einzelne Ausländerbehörden immer wieder ab.

Das zugewiesene Gebiet darf im Übrigen nach Art. 7 Aufnahmerichtlinie die unveräußerliche Privatsphäre nicht beeinträchtigen und muss hinreichenden Raum dafür bieten, dass Gewähr für eine Inanspruchnahme aller Vorteile aus der Aufnahmerichtlinie gegeben ist. Doch tatsächlich wird die Einheit der Familie noch nicht einmal gewährleistet.

Die Bundesrepublik prüft nie oder nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz, ob ein Antragsteller besondere Verfahrensgarantien benötigt. Begünstigt wären schutzbedürftigen Personen wie Minderjährige, Behinderte, ältere Menschen, Schwangere, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, Opfer des Menschenhandels, Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen, Personen mit psychischen Störungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, also die überwiegende Mehrheit der Geflüchteten. Auf sie dürfte keine Anwendung des beschleunigten Verfahrens stattfinden und die von ihnen eingelegten Rechtsmittel müssten automatisch aufschiebende Wirkung haben. Das heißt bis zur gerichtlichen Überprüfung ihres Schutzantrags dürften sie nicht abgeschoben werden. Doch durch diese Nichtidentifizierung und einhergehende Verletzung der Verfahrensgarantie ist die überwiegende Mehrheit der Geflüchteten genötigt innerhalb einer Woche einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zu stellen mit geringer Aussicht auf Erfolg, was unter anderem auch zur Verweigerung von Prozesskostenhilfe (und faktisch Rechtsbeistand) führt.

C. Fazit und Ausblick

Anhand der menschenrechtlichen Kodifizierung und somit des rechtlichen Grundfundamentes unserer Gesellschaft sind die oben beschriebenen Normen einzuhalten. Darüber hinaus müssen die aktuell geltenden unions- und bundesrechtlichen Vorgaben gewahrt werden.
Dies ist nicht zuletzt die grundlegende humanitäre und rechtliche Verpflichtung aller Unterbringungsakteure ab dem ersten Tag der Aufnahme Asylsuchender. Aktuell verstößt Sachsen bei der Erstaufnahme massiv gegen Grund- und Menschenrechte. Das auf diese Kritik gern vorgebrachte „Argument“ der Überforderung angesichts wachsender Zahlen Geflüchteter lassen wir nicht gelten, denn sie ist selbstverschuldet.

Parallel dazu müssen mittel- bis langfristige Alternativen zu der Erstaufnahme Asylsuchender entwickelt werden, die ein selbstbestimmtes Leben der Teilhabe sowie der Menschenrechte gewährleistet und fördert. Dazu haben wir das anbei anhängende Positionspapier formuliert.

Initiativkreis Menschen.Würdig, Januar 2016
Feedback erwünscht an: menschen.wuerdig@googlemail.com

[1] Diese ist bei der Umsetzung des Unionsrechts zu beachten (Art. 51 Abs. 1 GRC), wie der RL 2013/33/EU – EU–Aufnahmerichtlinie.
[2] Cremer, Hendrik, Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.), Menschenrechtliche Verpflichtungen bei der Unterbringung von Flüchtlingen, Policy Paper 26, Berlin 2014, S. 5.
[3] Amnesty International, Stellungnahme von Amnesty International an die Landesregierung Nordrhein-Westfalen zur Unterbringung Asylsuchender, 2014, S. 5.
[4] Abkürzung für lesbische, schwule, bisexuelle, trans* und inter*sexuelle Menschen
[5] Rabe, Heike / Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.), Effektiver Schutz vor geschlechterspezifischer Gewalt – auch in Flüchtlingsunterkünften, August 2015, S. 7.
[6] Deutscher Bundestag (2015): Antwort der Bundesregierung, Drs. 18/4581

 

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Info: Aktuelles Statement von Menschen aus der Messehalle 4

Wir möchten hier mit Euch das aktuelle Statement der Menschen aus der Messehalle 4 teilen:

We, people from the messe halle 4, want the public to know about the current situation inside our camp. After the end of the protest camp,last weekend, we realised a reactionary behaviour from the administration of the camp.

It s clear for us, that the general situation is not be changed soon, but new aspecta are added to our daily humiliation and bad living condtion inside the messe halle 4.

Since the 12th of October the air inside the hall  is very bad. It s clear, accordning to the chief of the camp, that the level of toxic in the air has a dangerous percentage. People become sick by breathing the air and different allergic reaction showed up. At least six people are hospitalised outside of the camp.

In the same moment, the doctors voulnteering in the messehalle , are not enough to provide basic medical supply. This lack of basic supply is existing since the opening of the camp.

Several deseases were spread and people can’t help themselves.

We want to highlight that still more people are braught to the camp, in a lack of concrete vision from the responsibles to solve the problem.

The accileration of the registration process was not fullfiled and a lot of people are already waiting for registration more than 1 month and 10 days ,since the first day the camp was opend.

No charity, basic human rights!

16th of October 2015, Leipzig