Symposium zur Unterbringungspraxis von Geflüchteten und Wege zum selbstbestimmten Wohnen

Pressemitteilung und Einladung zum Hintergrundgespräch 07. März 2016

„Das Wohnen lernen?‟

Symposium des Initiativkreis: Menschen.Würdig. und des Kulturbüro Sachsen e.V. nimmt die Unterbringungspraxis von Geflüchteten kritisch in den Fokus und sucht nach Wegen zum selbstbestimmten Wohnen

Am 12. März veranstaltet der Initiativkreis: Menschen.Würdig gemeinsam mit dem Kulturbüro Sachsen e.V. das Symposium „Das Wohnen lernen? Zur Unterbringungspraxis von Geflüchteten und Wege zum selbstbestimmten Wohnen‟. Die von der Rosa­Luxemburg­Stiftung und dem Bildungswerk Weiterdenken e.V. in der Heinrich­Böll­Stiftung mitveranstaltet und von ProAsyl, der Amadeu­Antonio­Stiftung unterstützte Tagung rückt die gängige Unterbringungspraxis kritisch in den Fokus.

Seit den 1980er Jahren ist die Sammelunterbringung gesetzlich vorgeschrieben und bleibt im politischen wie auch sozialpädagogischen Diskurs – trotz vielfältigen Bemühungen zur dezentralen Unterbringung – als Rahmen bis auf Ausnahmen unangetastet. Dabei bedeutet sie vor allem für die Betroffenen die Einschränkung der Selbstbestimmtheit, sie führt zu Isolation und verhindert Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Die aktuelle Robert­Bosch­Studie, die erste umfassende wissenschaftliche Untersuchung zur Aufnahme von Flüchtlingen in Bundesländern und Kommunen belegt zudem, dass Sammelunterkünfte die Akzeptanz von Geflüchteten in der Bevölkerung erschweren.

Diese gegenwärtige Praxis ist sozialpolitisch der Wohnungslosenhilfe entlehnt, nach der eine „Wohnfähigkeit‟erst ausgebildet werden müsse. Ihr stehen US­amerikanische wie europäische Projekte der Wohnungslosenhilfe gegenüber: Sie operieren bereits erfolgreich nach dem Prinzip „Housing first‟.

Ziel des Symposiums ist dementsprechend neben einer Analyse der Wohn­ und Lebenssituation von Geflüchteten, US­amerikanische und europäische Projekte der Wohnungslosenhilfe den gegenwärtigen Praxen gegenüber zu stellen und zu diskutieren. So sollen neue Entwicklungen in der Sozialen Arbeit in den Blick genommen und eine Willkommenskultur für Geflüchtete als Bewährungsfeld für die solidarische Stadtentwicklung der Zukunft erörtert werden.

Als Referent*innen konnten die Veranstalter*innen unter anderem Kay Wendel und Napuli Langa aus Berlin und Klaus Maurer aus Wien gewinnen. Ein Höhepunkt ist der Input von Sam Tsemberis, Professor an der Columbia University in New York. Er hat in den neunziger Jahren das Modell „Housing first‟ maßgeblich vorangebracht, das die nordamerikanische Wohnungslosenhilfe revolutioniert hat und heute auch von der EU in zahlreichen Pilotprojekten favorisiert wird. Gegen große Widerstände setzte sich die neue Methode seiner Organisation „Pathways to Housing‟durch und beendete in zahlreichen nordamerikanischen Bundesstaaten das Belohnungssystem der geltenden Sozialpolitik, nach dem Menschen sich das Wohnen in eigenen Wohnungen durch gutes Verhalten in Gemeinschaftsunterkünften erst verdienen mussten.

Kim Schönberg vom Initiativkreis: Menschen.Würdig. erklärt:
„Seit mehreren Jahren engagieren wir uns für eine menschenwürdige Unterbringung von Geflüchteten. Dies hat nichts mit karitativem Handeln zu tun, wir betrachten selbstbestimmte Wohnen als Kern einer gleichberechtigten Teilhabe an Gesellschaft. Mit unserem Symposium wollen wir das Paradigma der Entmündigung durch gesetzlich vorgeschriebene Sammelunterbringung und Wohnfähigkeitsprüfungen auf den Prüfstand stellen und nach tragfähigen Alternativen suchen.‟

Die Frage nach Konzepten für eine menschenwürdige Unterbringung beschäftigen derzeit viele Menschen. Dafür sprechen die Anmeldezahlen: schon jetzt haben sich mehr als 100 Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet angemeldet.

Das Symposium findet am 12. März 2016, 9:30 bis 19:30 im Geisteswissenschaftlichen Zentrum der Universität Leipzig statt.
Weitere Informationen finden Sie unter: http://www.menschen­wuerdig.org/symposium/

Für interessierte Journalist*innen gibt es während der Tagung eine Akkreditierung. In der Zeit zwischen 13:00 und 14:00 wird von den VeranstalterInnen ein Pressegespräch zu den Hintergründen des Symposiums angeboten. Falls sie Interesse an Interviews mit einzelnen Referent*innen haben, melden Sie sich bitte bis zum 10. März 2016 unter: 0157­57679681 oder susanne.loehne@kulturbuero­sachsen.de

Innenstadt-Hotels als temporäre Unterkünfte für Geflüchtete nutzen!

+++ Innenstadt-Hotels als temporäre Unterkünfte für Geflüchtete nutzen! +++ Ziel muss die Maximierung der dezentralen Unterbringung sein +++ „Kontaktstelle Wohnen“ auf den Weg gebracht +++

Pressemitteilung, 26. Januar 2016

Laut LVZ sollen zum 29. Februar 2016 die beiden in der Innenstadt ansässigen Hotels „Ibishotel“ und „Novotel“ schließen. Beide Hotels verfügen insgesamt über eine Kapazität von 360 Zimmern. So bedauerlich die Schließung der Hotels insbesondere für die 60 MitarbeiterInnen ist, eröffnet die Situation die Möglichkeit, kurzfristig Geflüchtete unterzubringen.

Leipzig fehlen laut aktuellem Sachstandsbericht der Stadt Leipzig umfangreiche Kapazitäten für die Unterbringung von neu in Leipzig ankommenden Geflüchteten. Bei drei bestehenden Unterkünften läuft die Nutzung aus, insgesamt müssen allein dadurch 806 Plätze kompensiert werden. Dazu gehören auch 500 Plätze im derzeit als Unterkunft genutzten Bürohaus am Brühl, das nur bis Mitte April 2016 zur Verfügung steht.

Kim Schönberg vom Initiativkreis: Menschen.Würdig. erklärt: „Die Schließung der Hotels bietet die Chance, Geflüchtete schnell und unkompliziert unterzubringen. Die bisherige Nutzung als Hotels versprechen zudem annehmbare Wohnbedingungen. Die zentrale Lage birgt insbesondere für die Geflüchteten Chancen, wie kurze Wege und gute Orientierungsmöglichkeiten. Die im Zusammenhang mit der Nutzung des Bürohauses am Brühl befürchteten Komplikationen sind komplett ausgeblieben.“

Die Nutzung der Hotels als temporären Wohnraum ist Zeltlagern oder ehemaligen Baumärkten in jedem Fall vorzuziehen. Die von Geflüchteten aus dem Zeltlager am Deutschen Platz am vergangenen Montag vorgetragenen Probleme haben einmal mehr gezeigt, dass Zelte keine adäquate Form der Unterbringung von Menschen sind.

In jedem Fall bleibt die Maximierung der Wohnungsunterbringung das eigentliche Ziel. Rein prozentual steht die Stadt Leipzig im sachsenweiten Vergleich nicht gut da, wie eine Landtagsanfrage jüngst offenbarte. Die Stadt Leipzig setzt sich eine dezentrale Unterbringungsquote von 60% zum Ziel. Zum 30 November 2015 waren allerdings von 4281 Untergebrachten insgesamt 2943 Personen zentral untergebracht. Das entspricht einer dezentralen Unterbringungsquote von weniger als 40%. Die Stadt Leipzig ist demnach weit entfernt von ihrem Ziel. [1]

Der IKMW kooperiert derzeit mit zahlreichen Akteur*innen, wie dem Projekt „fluechtlingswohnungen.org“, um mit einer „Kontaktstelle Wohnen“ die Zahl der selbstbestimmt in Wohnungen lebenden Geflüchteten zu erhöhen.
„Dies ist einer der wichtigen Schritte hin zu gesellschaftlicher Teilhabe“, so Kim Schönberg.

[1] http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=3484&dok_art=Drs&leg_per=6&pos_dok=1

Morgen ist heute schon gestern

+++ Der Initiativkreis: Menschen.Würdig. (IKMW) im Jahr 2015 und Perspektiven auf das kommende Jahr +++

Es könnt ein Anfang sein
Das Jahr 2015 startete für den IKMW aus einer Position der Schwäche heraus. Auch wenn sich nach über zwei Jahren politischer Arbeit als Gruppe ein harter Kern aus Aktiven herausgebildet hatte, war dieser nicht sonderlich groß und daher standen Ressourcen nur begrenzt zur Verfügung. Als dann Ende 2014 klar wurde, dass eines der Gründungsziele des IKMW, die Schließung der isolierten Massenunterkunft in der Torgauer Straße, weit in die Ferne rücken wird – schlimmer noch, das Heim sollte zu Sachsens größter kommunalen Massenunterkunft ausgebaut werden – wurde beschlossen Anfang 2015 einen Partizipationsworkshop für neue Aktive zu initiieren. Beworben wurde dieser über die Facebookseite „Dezentralisierung in Leipzig jetzt“ und über Flyer vor allem im Umfeld der ersten Demonstrationen gegen „LEGIDA“. Der Workshop, bei dem zunächst die Entstehungsgeschichte des IKMW rekapituliert wurde, um dann in einer Ideenwerkstatt zu münden, war mit etwa 40 Personen gut besucht. Es wurde eine Kampagne gegen den Ausbau der Asylunterkunft in der Torgauer Straße beschlossen, eine Presse AG wurde ins Leben gerufen und weitere Ideen, wie die Vermittlung von Geflüchteten in Wohngemeinschaften (WGs), wurden gesponnen.

Andre spiel’n Büro-Büro, Projekt-Projekte sowieso, Decken sich mit Arbeit ein
Gerade vielleicht das erste Mal vom IKMW gehört oder diesen nur sehr abstrakt in sozialen Medien wahrgenommen, kamen über diesen Workshop etwa ein Dutzend neue Aktive in den Initiativkreis: Menschen.Würdig. und wurden aufgrund des Partizipationsworkshops sofort in die Aktionen des IKMW eingebunden. Eine Kampagne gegen den Ausbau der Torgauer Straße zur größten kommunalen Massenunterkunft Sachsens wurde aus dem Hut gezaubert: eine Petition wurde gestartet, Stadträt*innen angeschrieben und zu einer Erkundung der Torgauer Straße eingeladen. Außerdem gab es eine sehr aktive Öffentlichkeitsarbeit: Offene Briefe, Pressemitteilungen, Interviews, Ansprachen an Multiplikator*innen und eine sehr gelungene Pressekonferenz zusammen mit der neu gegründeten Initiative „Willkommen im Kiez“, die sich der WG-Vermittlung widmet. Größter Coup war die Einbindung von Wohnungsgenossenschaften, die zum einen die Stadt Leipzig für ihre schlechte Zusammenarbeit kritisierten und zum anderen in Persona des Chefs der größten Genossenschaft der Stadt „Kontakt“ als Vertreter*in an der Pressekonferenz partizipierten. Auch das Netzwerk „Leipzig – Stadt für alle“ verfasste zusammen mit dem „Haus- und Wagenrat e.V.“ eine ausführliche Stellungnahme, warum man mit dem Ausbau der Torgauer Straße „die Chance auf selbstbestimmtes Wohnen und alternative Wohnkonzepte“ verpasse. Der Ausbau der Unterkunft in der Torgauer Straße konnte zwar nicht verhindert werden und somit war die Kampagne schlussendlich in dieser Hinsicht nicht erfolgreich. Allerdings initiierten wir zumindest eine Debatte über den Sinn und den Zweck des Ausbaus. Alle Akteur*innen mussten sich zur Debatte verhalten und die teilweise emotionalen Reaktionen zeigten, dass wir einen wunden Punkt getroffen hatten. Vor allem offenbarte sich nochmals deutlich, dass der Leipziger Flüchtlingsrat scheinbar kein Interesse hat als Lobby für ein selbstbestimmtes Leben geflüchteter Menschen zu fungieren. So zeigten sich Vertreter*innen des Leipziger Flüchtlingsrates mit dem momentanen Zustand der Unterbringung für Geflüchtete nicht nur zufrieden, sie betonten sogar, dass die derzeitige Unterbringungspraxis alternativlos sei – eine Position, die wir nicht nachvollziehen können und über die wir sehr gern einmal öffentlich diskutieren würden.
Auch im Nachgang der Kampagne konnten die gewonnenen Vernetzungen zu Initiativen wie „Willkommen im Kiez“ und „Leipzig – Stadt für alle“ und Wohnungsmarktakteuren wie der Wohnungsgenossenschaft „Kontakt“ produktiv genutzt werden. Diese fruchtbaren Kooperationen sollten künftig ausgebaut werden. Morgen ist heute schon gestern weiterlesen