SZ.de vom 13.09.2013: „Zum Beispiel Rackwitz – Wachsender Hass auf Flüchtlinge alarmiert evangelische Bischöfe“

In Berlin-Hellersdorf mussten Flüchtlinge im Sommer tagelang Spießruten laufen, in Sachsen lauerten Rechtsradikale einem Flüchtling auf dem Heimweg zu seiner Unterkunft auf. Und in Rackwitz bei Leipzig schrien Dutzende aufgebrachte Bürger Ende August den Vertreter des Landratsamtes nieder, der ihnen mitteilte, dass im leer stehenden Lehrlingswohnheim demnächst 120 Flüchtlinge unterkommen sollen

Was sich im kleinen Rackwitz mit seinen 5000 Einwohnern ereignet hat, ist auf Videomitschnitten dokumentiert: Da rufen Männer, sie wüssten aus Berlin, wie das ist mit den Flüchtlingen: Da werde in den U-Bahnhöfen gedealt, und die Frauen gingen auf den Strich. Eine Frau kreischt: ‚Die sitzen da draußen, da gibt es nicht mal Spielplätze für die Kinder, das schafft doch Potenzial für sonst was.‘ Und als der Mann vom Landratsamt tapfer sagt, er hoffe auf Verständnis, das Land habe die Aufgabe, die Flüchtlinge unterzubringen, da schreit ihn ein Mann zusammen: ‚Das kannst du vergessen.‘

Die Zahl der Menschen, die in Deutschland vor Bürgerkriegen wie in Syrien Asyl suchen, hat sich im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt. 2012 baten 64000 Menschen um Asyl, 2013 waren es schon im August so viele. Das zwingt die Landratsämter, neue Unterkünfte zu suchen. Sie stoßen auf eine Phalanx der Ablehnung.

Viele christliche Kirchengemeinden treibt daher die Angst um, dass es bald wieder zu Übergriffen wie in Hoyerswerda oder Rostock kommen könnte. Denn entwurzelte Menschen mit Kriegstraumata werden auf engstem Raum zusammengepfercht und Bürgern vor die Nase gesetzt, die vor allem eins haben: Angst. Diese Angst könnte in Gewalt umschlagen.

Die Sorge um die Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, hat nun 13evangelische Bischöfe, Superintendenten und Kirchenpräsidenten zu einem gemeinsamen Aufruf veranlasst. Sie fordern in ihrem Appell, Flüchtlinge statt in ‚Massenunterkünften‘ in ‚menschenwürdigen Wohnungen‘ unterzubringen. Sie fordern auch, dass sich Asylsuchende frei bewegen können und sich nicht in einem bestimmten Gebiet aufhalten müssen – in Bayern zum Beispiel dürfen sie noch nicht einmal die Grenzen ihres Landkreises überschreiten. Die Bischöfe wollen, dass Flüchtlinge arbeiten und zur Schule gehen dürfen und nicht jahrelang betätigungslos in Heimen herumsitzen müssen. Das Asylbewerberleistungsgesetz gehöre abgeschafft. Und: Im Wahlkampf solle nicht Stimmung gegen Flüchtlinge gemacht werden.

Dem Aufruf haben sich auch die Bundestagsvizepräsidenten Petra Pau (Linke), Wolfgang Thierse (SPD) und Katrin Göring-Eckardt (Grüne) angeschlossen. Die katholischen Bischöfe waren angefragt, haben sich aber zurückgehalten.

Einige Bürger in Rackwitz halten sich nicht zurück. Sie haben ein Flugblatt verteilt: Durch Ausländer werde das Bildungsniveau an ihrer Schule gesenkt. Die Kriminalität werde steigen. Und auf dem Weg zur Bürgerversammlung sagte eine Frau, es werde schon darüber geredet, das Problem zu lösen. Entweder das Haus werde jetzt abgefackelt oder später – dann, wenn es bewohnt ist. Für Samstag hat sich die NPD in Rackwitz angekündigt. Annette Ramelsberger

(Quelle: SZ vom 13.09.2013)