Für ein Umdenken in der sächsischen Asylpolitik

Der Arbeitskreis Politik und Antirassismus Leipzig hat die Situation in Leipzig genauer beleuchtet und ein Positionspapier erstellt. Dies möchten wir hier auf unserer Seite teilen. Wir unterstützen die Forderungen und Thesen des Arbeitskreis Politik und Antirassismus Leipzig.

Für ein Umdenken in der sächsischen Asylpolitik

Die Unterbringung von bisher 345 geflüchteten Menschen in der Ernst-Grube-Halle auf dem Sportcampus der Uni Leipzig hat medial große Aufmerksamkeit hervorgerufen. Mit großer Erleichterung konnten wir erleben, dass es entgegen anderer Erfahrungen bei ähnlichen Unterbringungen in Dresden oder Chemnitz zu keinen rassistischen Ansammlungen bzw. Übergriffen gekommen ist. Im Gegenteil war eine große Hilfsbereitschaft der Leipziger Zivilgesellschaft zu beobachten. Mit großem Engagement versuchten hunderte ehrenamtliche Helfer_innen, das staatliche Nicht-Handeln zu kompensieren, die Obdachlosigkeit vieler Geflüchteter zu verhindern und eine Erstversorgung sicher zu stellen.

Trotzdem, das ist nicht der Zeitpunkt für Leipzig, sich auf die Schulter zu klopfen. Die Unterbringung von mehreren hundert Menschen auf engstem Raum ist eine moralische wie
politische Bankrotterklärung der verantwortlichen Landespolitik. Im Folgenden stellen wir Thesen und Forderungen für die politische Debatte um die Ernst-Grube-Halle und die Erstaufnahmeeinrichtungen auf.

1. Die Ernst-Grube-Halle und andere ‚Notunterkünfte‘ sind nicht alternativlos.
Es herrscht Katastrophenstimmung: Das seit Monaten seitens sächsischer Behörden konstruierte Bild einer Notstandssituation bei der Unterbringung von Geflüchteten eskalierte in den letzten Wochen. Wegen überfüllter Erstaufnahmeeinrichtungen und einer hohen Zahl von Neuankünften wurden Geflüchtete zunächst in Dresden, aber bald auch sachsen- und bundesweit in Zeltstädten und Notunterkünften einquartiert. Die Situation ist so prekär, dass sogar der Katastrophenschutz zur Unterstützung bei Unterbringung und Versorgung angefordert wird. Die politischen Akteure und ihre Verwaltungsbehörden scheinen mit der Unterbringung völlig überfordert.
Dabei wird völlig verdeckt, dass das Problem ein politisches ist und keine Naturkatastrophe. Seit den 90er Jahren wurden systematisch Stellen in der Verwaltung, in den Erstaufnahmeeinrichtungen und in den für die Asylanträge zuständigen Stellen gekürzt. Statt diesen Notstand endlich konsequent zu beheben, verschließen sächsische Politiker_innen die Augen oder fordern auf Grund der selbst geschaffenen Situation eine Verschärfung des Asylrechts. Der massive Anstieg der Flüchtlingszahlen, besonders im Sommer durch die Zuspitzung des Bürgerkrieges im Irak und in Syrien, aber auch aufgrund saisonaler Bedingungen, war aber absolut vorhersehbar. Während die zuständigen Stellen die Situation in den Erstaufnahmeeinrichtungen aussitzen oder sich gar im Urlaub befinden, hetzen sie andererseits permanent gegen Geflüchtete und machen diese für die missliche Lage verantwortlich. Wir sagen ganz klar: Es gibt keinen Asylnotstand, außer denjenigen den das verantwortliche Innenministerium selbst schafft. Viele der aktuellen Verschärfung sind nicht nur moralisch und politisch verwerflich, sie widersprechen humanitären Grundsätzen, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und dienen der populistischen Stimmungsmache.
Wir wollen nicht, dass Notunterkünfte wie die in der Ernst-Grube-Halle oder der Zeltstädte in Dresden und Chemnitz zum Alltag werden. Der Freistaat Sachsen ist in der Lage, allen Geflüchteten würdige Lebensbedingungen und humanitäre Mindeststandards zu garantieren.
Das Leben auf engstem Raum, ohne ausreichend sanitäre Anlagen und Privatsphäre, wie in der EGH, ist nicht hinnehmbar. Es gibt funktionsfähige Gebäude in Landesbesitz als Alternativen zu den Notunterkünften, wie der Leipziger Bürgermeister Burkhardt Jung heute im LVZ Interview betonte.

2. Alle Türen auf für geflüchtete Menschen
So begrüßenswert es ist, dass die Universität Leipzig die kurzfristige Nutzung der Turnhalle auf dem Sportcampus mit Kräften unterstützt, so viel mehr Möglichkeiten der Unterstützung sehen wir seitens der Universität. Vertreter_innen der Johanniter berichteten recht eindrücklich von den Problemen in der Halle bei der Essensausgabe, die auf engstem Raum in den Fluren stattfindet.
Angesichts der während der vorlesungsfreien Zeit kaum genutzten Mensa am Sportcampus ist dies ein skandalöser Zustand. Da aus unserer Sicht keine Hinderungsgrund besteht, fordern wir das Studentenwerk auf, die Mensa für die Geflüchteten in der Ernst-Grube-Halle zu öffnen. Frau Sonja Brogiato vom Flüchtlingsrat berichtete, dass es gerade bei Regen unmöglich ist, Platz für gemeinsame Aktivitäten zu finden. Zeitgleich gibt es Deutschlehrer_innen, welche kostenfreien Sprachunterricht anbieten möchten sowie Rechtsberatung und Bildungsangebote, die mangels Räumlichkeiten bisher nicht umgesetzt werden können.

Wir fordern die Universität auf, Räume und Hörsäle zur Verfügung zu stellen, um dies zu ermöglichen. Falls die Unterbringung von Geflüchteten in der Universität Leipzig mehr als nur wenige Wochen andauern sollte, so fordern wir auch einen Raum für Geflüchtete, um sich jenseits von externen und möglicherweise paternalistischen Hilfsstrukturen über ihre Lage und politischen Anliegen zu verständigen und an die Öffentlichkeit treten zu können. Im bisherigen Dialog tauchen diese bis jetzt nur als stumme Bittsteller_innen auf. Wir wollen dazu beitragen, dass sich diese Situation verändert und auf Augenhöhe gesprochen werden kann. Wir wissen von genügend ungenutzen Räumlichkeiten der Uni Leipzig, die hierfür in Frage kommen. Wir möchten die Rektorin Prof. Beate Schücking beim Wort nehmen und fordern, die Vorbildfunktion der Universität an dieser Stelle in konkrete Projekte zu übersetzen. Auch die Studienmöglichkeit für Geflüchtete sollte ernsthaft geprüft werden. Wir wollen, dass die Universität Leipzig und ihre Angehörigen sich in der aktuellen Debatte ganz praktisch positionieren und zeigen, dass ein anderer Umgang mit Geflüchteten in Deutschland möglich ist und gelebt wird.

3. Für ein Umdenken der (sächsischen) Asylpolitik
In keinem anderen Bundesland fanden in jüngster Zeit so viele rassistische Mobilisierungen gegen Asylunterkünfte statt wie in Sachsen. Zugleich macht die Landeshauptstadt Dresden wegen der rassistischen Bewegung „PEGIDA“ seit Monaten bundesweit negative Schlagzeilen; auch in Leipzig tritt das Pendant „LEGIDA“ regelmäßig in Erscheinung. Es gibt einen enormen Anstieg an rechtsterroristischen Anschlägen auf Asylheime. Dafür ist auch die sächsische Landesregierung verantwortlich! Vor allem Innenminister Markus Ulbig macht sich die von ihm zu verantwortende Situation immer wieder für asylfeindliche Stimmungsmache zu Nutze. So forderte er noch Ende des Jahres 2014 eine „Taskforces gegen kriminelle Ausländer“, nachdem es in der überfüllten ZAST in Chemnitz zu Konflikten kam. Neuerdings möchte er Sonderlager für Geflüchtete aus bestimmten Herkunftsländern schaffen und stimmt außerdem der Forderung nach einer Streichung des Taschengeldes für bestimmte Geflüchtete zu. Jede weitere öffentliche Erklärung, die sich gegen Geflüchtete richtet, entlarvt den Unwillen der Verantwortlichen, die menschenunwürdigen Zustände in der Dresdner Zeltstadt, der ZASt in Chemnitz und den Turnhallen in Leipzig endlich zu beenden. Es ist Zeit für eine ganz andere Asylpolitik. Die Konflikte in der Welt nehmen nicht ab, also werden die Zahlen von Geflüchteten werden weiter steigen und es braucht eine langfristige Perspektive.

Wir fordern endlich ein Konzept des Innenministeriums für eine funktionierende und menschenwürdige Erstaufnahme, Verkürzung der Bearbeitungszeiten der Erstanträge und vor allem das Ende der Stimmungsmache gegen Geflüchtete, egal aus welchem Herkunftsland.

Forderungen an die Universität:
– Wir fordern die Universität und das Studentenwerk auf, den Geflüchteten Zugang zur Mensa zu ermöglichen, um ihre täglichen Mahlzeiten zu sich zu nehmen.
– Wir fordern die Universität auf, den ehrenamtlichen Helfern und Unterstützer_innen deutlich mehr Räumlichkeiten zu Verfügung zu stellen, um ihre Arbeit in vollem Umfang zu ermöglichen.
– Wir fordern die Universität auf, auch zukünftig die Belange von Studierenden, Mitarbeiter_innen und Geflüchteten nicht gegeneinander auszuspielen. Die Notunterbringung von Geflüchteten hat für uns klare Priorität.
– Wir fordern die Universität auf, Räumlichkeiten zu Verfügung zu stellen, in denen die Inklusion der Geflüchteten in den universitären Alltag gelebt werden kann, z.B. in Form von selbstorganisierter Lehre, Rechtsberatung und weiteren Unterstützungs- und Freizeitangeboten.
– Wir fordern die HTWK Leipzig und die Universität Leipzig auf, sich hinsichtlich der Nutzung ihrer Räumlichkeiten für die Unterbringung von Geflüchteten abzustimmen und der proklamierten Vorbildfunktion gerecht zu werden. Forderung an die sächsische Landesregierung, insbesondere an Innenminister Markus Ulbig und die Zuständigen der Landesdirektion
– Wir fordern Sie auf, die menschenunwürdige Aufnahme von Geflüchteten in Zeltlagern, Turnhallen und anderen nicht adäquaten Formen der Unterbringung schnellstmöglich einzustellen. Der von ihnen proklamierte ‚Notstand‘ ist hausgemacht und die mangelnde Vorbereitung auf die steigende Zahlen an Asylsuchenden ist Schuld an den jetzigen Zuständen.
– Wir fordern Sie auf, die aktuellen Zustände nicht für eine weitere Verschärfung des Asylrechts und des Asylprozesses zu nutzen. Schluss mit dem Populismus und dem Wasser auf die Mühlen rassistischer Vereinigungen in diesem Bundesland.
– Wir fordern Sie auf, alle im Land und insbesondere in der Stadt Leipzig befindlichen Liegenschaften des Landes für eine menschenwürdige Unterbringung von Geflüchteten zu nutzen. Gegebenenfalls sind leerstehende, aber nutzbare Gebäude und Wohnungen nach Maßgabe des Gesetzes dafür herzurichten.

Mit freundlichen Grüßen
Arbeitskreis Politik und Antirassismus Leipzig.
Bei Rückfragen erreichbar unter: antira@stura.uni-leipzig.de